Das Thema Abtreibung und Schwangerschaft ist umfassend und geht von den Machtstrukturen der Kirche und patriarchaler Herrschaft aus, bis hin zu individualisierten Entscheidungen, geprägt durch Sozialisation, Klasse, Bildung und Konzerninteressen der Pharmaindustrie. Das Patriarchat ist nicht nur in Gesetzesbüchern und Psalmen verankert, sondern bildet das Zentrum für die Ausrichtung von Industriekonzernen, die über digitale Medien und Labore unsere Körper regieren.
Vor diesem Hintergrund der Verflechtungen, durch die die Körper von uns Frauen* regiert werden, wagen wir einen ersten Angriff mit Bitumen auf die Apostolische Nuntiatur aka den Berliner Wohnsitz des Papstes.
Machtstrukturen haben keinen klaren Anfangs- und Endpunkt, daher wählten wir einen Ort, von dem repräsentativ einige der uns beherrschenden Diskurse und praktische Folgen ausgehen. Denn wie auch der Staat mit der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs über Gesetze, trägt die katholische Kirche durch das Propagieren eines Abbruchs als „Mord“ und der Stigmatisierung und Diskriminierung dieser Frauen* maßgeblich dazu bei, Reproduktion zu kontrollieren und Frauen* eine bestimmte Rolle in Familie und Gesellschaft zuzuweisen. Anhänger*innen der katholischen Kirche sehen in Abtreibungen moralisch verwerfliche Handlungen, gegen die vor allem emotional argumentiert wird. Frauen*, die über einen Abbruch nachdenken oder ihn durchführen sind mit Diskriminierungen und Anfeindungen konfrontiert, ob auf dem Weg in die Klinik, unter Freund*innen oder im Netz. Bekannt sind auch Fälle, in denen Ärzt*innen von katholischen Lebensschützer*innen angezeigt wurden, weil sie über Abbrüche informieren (sog. „Werbeverbot“ für den Abbruch). Es wird bei der Betrachtung dieser Akteur*innen aus Politik, religiösen Institutionen oder Wirtschaft sichtbar, dass vorrangig Männer Entscheidungen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen* treffen. Sie kontrollieren die Debatte und somit die Werte, die daraus entstehen. Sie entscheiden darüber, wie Frauen* leben müssen, um ihre eigenen Interessen und Machtstrukturen zu stärken. Die Bedeutung von Lebensschutzorganisationen, kirchlichen Institutionen und rechten Strukturen ist nicht zu unterschätzen. Sie alle plädieren für „traditionelle“ Geschlechterrollen und somit für die Unterwerfung der Frau* und ihres Körpers!
Freie Entscheidung?
Die Frage einer Schwangerschaft ist verbunden mit dem Diskurs um eine „freie“ Entscheidung für ein Kind aufgrund von Beratungsangeboten und Ratgeber*innenliteratur sowie der errungenen „Gleichberechtigung“ der Frau. Was bedeutet es jedoch Diagnosen zu erhalten, deren Auswirkungen nicht klar sind (statistische Wahrscheinlichkeiten einer Erkrankung eines Fötus)? Wer trifft letztendlich die Entscheidung über den sich entwickelnden Fötus?
Was bedeutet es, ein Embryo auf die Welt zu bringen trotz diagnostizierter Beeinträchtigung? Wie können wir von einer „freien“ Entscheidung sprechen, wenn eine Schwangere von allen Seiten das Bild eines Menschen vermittelt bekommt, der „anders“ sein wird, nicht „normal“, darunter leiden wird und die Frauen* selbst der Stigmatisierung und Ausgrenzung im Alltag ausgesetzt sein werden?
Wir sehen der „freien“ Entscheidung gegenüber ein komplexes Netz an Regierungstechnologien, die über die Schwangere sowie das zu gebärende Wesen im Sinne staatlicher Kontrolle und kapitalistischer Verwertbarkeit herrschen.
Es gibt unzählige Gründe sich gegen ein eigenes Kind zu entscheiden. Eine Entscheidung, die jede Frau* frei für sich ausmachen können sollte, anstatt dazu gezwungen zu werden, sich vor Beratungsstellen, Apotheker*innen, Ärzt*innen und Amtsträger*innen, auf Bullenstationen oder vor Gerichten rechtfertigen zu müssen. Aber was heißt dieses „freie“ und eigenständige Entscheiden in einer Umgebung, die durchzogen ist von Wissenshierarchien, Zwängen und Machtverhältnissen?
Das Patriarchat und der weibliche Körper
Die katholische Kirche, wie viele andere religiöse Institutionen, sprechen sich dagegen aus, dass Schwangere selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden und darüber, ob sie ein Kind auf die Welt bringen wollen oder nicht.
Die Frage nach einem generellen Kinderwunsch oder der ungewollten Schwangerschaft ist bereits eine Phase der Fremdbestimmung und Herrschaft über den Körper von Schwangeren. Sie ist verbunden mit den Vorurteilen über die Lebensplanung von Frauen*, die häufig dem konservativen Familienbild entsprechen, bei dem Frauen* das Gebären und Aufziehen von Kindern zu ihrer Lebensaufgabe machen. Hier spielen vor dem Hintergrund des „Marsch für das Leben“ offensichtlich politisch-rechte und religiöse Interessen eine Rolle, sowie tief verankerte Machtansprüche auf die Sexualität und den Körper der Frau, heute von FLTI*-Personen.
Eine weitere Phase der Fremdbestimmung folgt in der Schwangerschaft, wenn die Diagnose- und Beratungswut über die Entwicklung eines beeinträchtigten Kindes ansteht. Auch hier spielen andere Interessen als das Wohlbefinden von Frau* und Fötus eine große Rolle. Nur gesunde, fitte Menschen sind leistungsfähig und können damit erwünschtes Mitglied der kapitalistischen Gesellschaft werden.
Der weibliche Körper und das darin heranwachsende Embryo sind seit Jahrhunderten Austragungsort patriarchaler Macht und somit gilt es damals wie heute, anhand dieses Themas diese Machtverhältnisse zu benennen und anzugreifen.
Medizin und Reproduktion als Arm des kapitalistischen Systems
Diese Diskurse um Körper und Medizin haben sich immer mehr in unser Selbstverständnis eingeschrieben, in Zeiten des Neoliberalismus, in Zeiten der Technologisierung, in Zeiten der Individualisierung. Mit jenen Diskursen meinen wir das Verständnis von krank und gesund, anders und normal, schön und hässlich. Damit meinen wir das blinde Vertrauen, das Menschen in Ärzt*innen legen, allein aufgrund ihrer akademischen, elitären Ausbildung. Damit meinen wir den Drang zu Selbstoptimierung und Arbeitsfähigkeit, der uns nicht einmal mehr aufgezwungen werden muss, sondern von uns selbst reproduziert wird.
Wem stellen wir unser Körperliches zu Verfügung und wozu? Wir verlassen uns darauf, was Ärzt*innen uns über unsere Körper erzählen und geben uns mit dem Ziel „gesund“ zu werden zufrieden. Wir schlucken die verschriebenen Arzneimittel und akzeptieren die Diagnose „krank“ zu sein, ohne nach den Maßstäben zu fragen, wo dieses „krank sein“ anfängt und aufhört.
Die gebärfähige oder schwangere Person wird hierbei gerne als Wissenschaftsobjekt und Experimentierfeld benutzt. Das Kind muss gesund, also „normal“ sein: Am Körper der Frau* wird erprobt, wie mit Gentechnik auf die Entwicklung des Menschen eingewirkt werden kann. Das heißt dann Fortschritt und ‚der Normalbürger‘ kann der wissenschaftlichen Debatte auf diesem Gebiet schon längst nicht mehr folgen, sei es aufgrund produzierter Wissenshierarchien durch Fachbegriffe etc. oder mangelnder Transparenz.
Die gesetzlichen Verschiebungen zur Finanzierung von Diagnoseverfahren von Schwangeren, die entscheiden, ob deren Zellhaufen ein Kind mit Beeinträchtigungen ausbilden könnte oder nicht, sehen wir kritisch. Zum einen werden Ärzt*innen verurteilt, die im Rahmen ihrer Leistungsdarstellung den Schwangerschaftsabbruch auflisten, zum anderen ist die durch Versicherung finanzierte Abtreibung von als abnormal diagnostizierte Fötenseit Ewigkeiten gesetzlich – sogar bis zum 8. Schwangerschaftsmonat – erwünscht.
Welches Geschlecht wird es haben, ist es ‚Junge‘ oder ‚Mädchen‘? Auch diese Entscheidung wird von Ärzt*innen bei Intersexuellen durch jahrelange brutale Operationen im Kindesalter empfohlen und aufgrund von Wissenshierarchien meist durchgesetzt.
Und wenn es weiteren Normen nicht entsprechen wird, wie können wir auf das Körperliche einwirken? Wissenschaftler*innen arbeiten bereits daran, Gene aus dem heranwachsenden Embryo heraus zu trennen und mit „gesunden“ zu ersetzen.
Wie und was muss vorbereitet werden, um den Jungen, das Mädchen in den gesellschaftlich etablierten Habitus hineinzuzwängen? Normalisierung, Identitätsfindung, Sozialisierung treffen zwar in bürgerlich, studierten Kreisen auf tiefgreifende Reflexionen, haben aber in den letzten Jahrzehnten keinen wirklich nachhaltigen Bruch mit Genderzuschreibungen oder Normalisierung erwirkt.
Genauso hält es sich mit Behinderung. Die Lobby ist groß genug, den Begriff „Inklusion“ weithin bekannt zu machen, aber sie ist nicht stark genug, das Thema aus der Ecke des bettelnden Hilferufs herauszuholen. Es steht zur Debatte, ob Inklusion jemals ernsthaft ein gesellschaftliches Ziel gewesen sei. Gerade die kirchlichen Einrichtungen sind in der Verwaltung von Menschen mit Beeinträchtigungen einer der größten Arbeitgeber. Sie sind auch die Institutionen, welche den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung prägen; Es seien jene, die auf Hilfe angewiesen sind, diese besonders brauchen, anders sind etc. Solange es Wohneinrichtungen für Beeinträchtigte gibt, Altersheime und ähnliche „soziale“ Einrichtungen, haben wir noch viele Grenzen einzureißen.
Angriff als Verteidigung als Neuanfang
Das Objekt ist die ständige Vertretung des Papstes in der BRD. Sie ist Erfüllungsgehilfin der katholischen Institution.
Sie sind Vertreter*innen oben genannter Machtstrukturen, Verfechter*innen des Patriarchats und verschlossen gegenüber jeder Emanzipation. Ihre Hoffnung die Herrschaft über uns und unsere Körper aufrecht zu erhalten, muss durch Angriffe wie diese zerstört werden. Wir wollen die patriarchale Gesellschaft nicht reformieren, sondern abschaffen.
Ein anderes Miteinander muss gelebt werden! Sich kennenlernen, Kompliz*innen werden, den eigenen Fitness- und Gesundheitswahn in Frage stellen, Inwertsetzungsstrukturen wie Bezirks- und Arbeitsämter, Versicherungen und auch Sozialeinrichtungen angreifen und die weitergehende „zukunftsorientierte“ Medizinforschung zerstören.
Widerstand leben, damit wir leben können….
Quelle: Indymedia (Tor)