2002 begann unter Führung der regierenden Sozialdemokraten mit der Entwicklung der „Sozialreform Agenda 2010“ eine großangelegte Umstrukturierung des deutschen „Sozialstaates“. Im Willen die sozioökonomischen Verhältnisse entsprechend einer neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung neu auszurichten und die Verwaltung der Massenarbeitslosigkeit „zukunftssicher“ zu gestalten, verbarg sich hinter der Agenda 2010 vor allem ein grundlegender Angriff auf die arbeitslose oder prekär beschäftigte Klasse.
Der Diskurs machte aus Arbeitslosen und prekär Beschäftigten diejenigen, die faul seien, nicht arbeiten wollten, gerne dem Staat auf der Tasche liegen und auf Kosten der arbeitenden Gesellschaft ausschlafen. Dass das Ziel der Vollbeschäftigung nur noch leere Worte waren, wichtige Industriezweige nach Osteuropa und Asien ausgelagert wurden und mit dem Konstrukt des Jobcenters eine riesige Branche aussichtsloser Schulungs- und Weiterbildungszentren aus dem Boden gestampft wurden, sollten nicht als Argumente benannt werden. Mit den damaligen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, heute Ein-Euro Jobs oder sogenannten Fördermaßnahmen, werden die Statistiken der Arbeitslosigkeit geschönt und von außen der Eindruck vermittelt, dass tatsächlich Förderung passiere.
Die Folgen der Agenda sind neben dem Repressionsapparat Jobcenter, ein massiver Niedriglohnsektor, die Option für die Bosse durch Leih- und Kurzarbeit Arbeitende genauso schnell zu ordern und wieder zu feuern und eine verstärkte Konditionierung und Spaltung der sogenannten „Leistungsgesellschaft“. Das Bild, welches weltweit vermittelt wird, ist immer noch eines des Wohlstandes und absichernden Sozialstaates Deutschland, in dem für alle Arbeit da ist, sofern Menschen denn bereit sind sich „aktivieren“ zu lassen.
Dass über die Jahre der Dienstleistungsgesellschaft eine Pyramide ausgebaut wurde in der ganz unten die Fahrradlieferant*innen, Erntehelfer*innen, Amazonfahrer*innen, Sicherheitsmitarbeiter*innen und Putzkräfte stehen, die überwiegend Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung haben und nicht ohne Grund keine Chance auf eine bessere Stellung oder Tarifverträge in der BRD bekommen, ist eine der auffallenden Folgen dieser Entwicklung.
Gerade in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie phantasiert und schwadroniert der Staat plötzlich von Solidarität und Zusammenhalt. In einer Zeit, in der Klassenunterschiede deutlicher zutage treten als je zuvor und Solidarität im Sinne des Staates nur bedeuten, sich selber noch weiter aufzuopfern für das Weiter-So des Kapitalismus.
Während die Manager*innen im Homeoffice ihre Profite ausbauen, Politiker*innen es bevorzugen über bewaffnete Drohnen, Telekommunikationsüberwachung und Gesichtserkennungssoftware zu debattieren, erhält der Großteil der Arbeiter*innen nur noch einen Bruchteil ihres Lohns, bangt um die Zukunft ihrer Betriebe oder schuftet weiterhin in den Fabriken oder Krankenhäusern. Der Staat greift währenddessen großzügig in seine Taschen um den börsennotierten Groß-Konzernen unter die Arme zu greifen, in dem Wissen, dass in dem längst befriedeten Staat die Kritik daran oder gar ein Generalstreik in weiter Ferne liegen.
Durch die Zuspitzung dieser sozialen Frage finden sich immer mehr Menschen am Rand der Gesellschaft wieder und wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auf lange Sicht der Ausbruch unserer Wut nicht verhindert werden kann. Unsere Rolle dabei sollte sein, unseren Freund*innen aus den Schlangen der Jobcenter und Ausländerbehörden, in den Autos der Lieferdienste oder vor den Toren der Fabriken und Logistiklager in ihren Kämpfen zur Seite zu stehen und die Lüge der „Sozialpartnerschaft“ in Flammen aufgehen zu lassen.
So freute uns zum Beispiel aus Frankreich zu lesen, dass an Heiligabend 27 Transporter von Amazon den Flammen übergeben wurden.Wir haben unsererseits die letzten Tage des Jahres genutzt, dem Jobcenter Lichtenberg vier Autoreifen vor die Tür zu legen. Kein „stay at home“, kein 87 % Kurzarbeitergeld und keine Notstandsverordnungen beklatschende Linke kann und darf uns vergessen machen, dass es die bestehenden Verhältnisse umzuwerfen gilt. Wenn wir aber auch 2021 nicht in die Gänge kommen, den staatlichen Allmachtsansprüchen gerade während dieser Pandemie etwas entgegen zu setzen, sieht es damit zunehmend düster aus.
Für ein besseres Morgen!
Quelle: Kontrapolis.info (Tor)